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„Ich mache alles, was unter die Maschine passt“

Porträtfoto: Emmanuele Contini, Detailfoto: Anke Hohmeister

Als Christiane Gluch im Jahre 1978 das erste Mal die Tür zu ihrer Änderungsschneiderei am Herrfurthplatz 4 aufschloss, hatte sie nicht viel zu verlieren. Die Mietkonditionen waren damals ausgesprochen günstig, das Startkapital mit einer kleinen Nähmaschine und einem Bügeleisen gering. In den Jahren zuvor hatte sich die Ur-Neuköllnerin von Job zu Job gehangelt. Anstellungen in einer Lederfabrik und in Schneidereien für T-Shirts und Brautmoden waren nie von langer Dauer gewesen – schon damals begannen große Firmen den Kleidungsmarkt für sich einzunehmen und verlagerten ihre Produktionen zunehmend ins Ausland. Für Änderungsschneidereien indes war die Zeit günstig. Wie Pilze seien die damals aus dem Boden geschossen, erzählt Christiane Gluch, die stolz darauf ist, dass seit der Eröffnung nicht eine Tag vergangen ist, an dem nicht mindestens ein Kunde in ihrem Laden stand.
Im Laufe der Jahrzehnte hat die 68-Jährige viele Moden kommen und gehen gesehen und den Wandel des Schillerkiezes direkt vor ihrer Ladentür erlebt. Im Interview erzählt die gelernte Schneiderin von ausgefallenen Kundenwünschen, dem Glück ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben und von Hosen, die einen guten Po machen.

Sie betreiben ihre Änderungsschneiderei schon seit 40 Jahren am Herrfurthplatz. Gab es eine Zeit, wo sie sich im Schillerkiez nicht so wohlgefühlt haben?
Zu Beginn war es super. Da war an der Schillerpromenade noch der große Wochenmarkt – immer Dienstags und Freitags. Da war immer viel Publikumsverkehr, von dem ich natürlich auch profitiert habe. In den Neunziger Jahren gab es dann mal eine Zeit, in der ich mich tatsächlich nicht so wohlgefühlt habe. Wenn ich da im Bekanntenkreis erzählt habe, wo mein Laden ist, konnte das niemand verstehen: Die Gegend hatte damals einen extrem schlechten Ruf. Das kann man sich heute, wo der Schillerkiez so in Mode ist, gar nicht mehr vorstellen.

Hat sich für sie durch die Öffnung des Tempelhofer Feldes im Jahre 2010 etwas geändert?
Durch die Öffnung direkt hat sich nichts für mich geändert. Mir fällt bloß auf, dass das Publikum hier immer jünger wird. Viele ältere Leute, die früher zu mir gekommen sind, um sich z.B. vor festlichen Tagen ihre Garderobe ändern zu lassen, sind verstorben oder weggezogen. Ich habe natürlich immer noch meine Stammkundschaft, zu der auch viele ältere Kunden gehören, aber es fällt schon auf, dass immer mehr junge Kunden aus aller Herren Länder kommen. Die kaufen sich dann eine Jacke für 10 Euro im Second Hand Laden und zahlen bei mir nochmal 10 Euro drauf, um etwas eigenes retromäßiges zu haben, das nicht von der Stange kommt.

Foto: Anke Hohmeister

Hatten sie jemals Angst vor Verdrängung?
Ja, natürlich. Das hab ich immer noch, eigentlich konstant. Da ich nur einen Ein-Jahresvertrag vom Vermieter habe, habe ich jedes Jahr erneut Angst, dass mir gekündigt wird. Aufgrund meines Alters, wäre das fatal für mich. Ich bin jetzt 68 – wie sollte ich da nochmal neu anfangen…

Gibt es modische Trends, denen sie nicht so viel abgewinnen können?
Momentan sind ja die knöchelkurze Hochwasserhosen ‚in‘. Da habe ich mich am Anfang schon etwas gewundert. Aber ich stelle mich auf alles ein, letztlich muss es immer zum Typ passen. Manchmal kommen die Kunden aber auch und fragen mich: „Wie trägt man es denn heute?“ Das ist dann schwierig zu beantworten. Ich kann jetzt nicht einem alten Herren die Hose knöchellang machen, bloß weil das gerade modisch ist. Dann beschwert der sich am Ende. Bei Röcken ist das genauso. Wer einen dicken Hintern hat, sollte sie eher etwas länger tragen. Ich versuche da immer gut zu beraten. Da ich viele meiner Kunden schon viele Jahre kenne und weiß, wie ihre Kommode ist, kann ich in der Regel gut einschätzen, was passen könnte.

Müssen Sie manchmal Aufträge ablehnen?
Inzwischen bin ich schon so weit, dass ich manche Sachen nicht annehmen kann, weil ich Probleme mit meinem Rücken habe. Das fällt mir dann aber sehr schwer. Ich sage immer: „Alles, was unter die Maschine passt, mache ich.“ Ich habe sogar schon mal für einen Hund einen Kragen genäht. Die Kundin war mit einem Pelzkragen, ich glaube das war Nerz, zu mir gekommen. Ich habe das Tier dann auf meinen Tisch gestellt und Maß genommen, genau so, wie ich es bei einem Menschen auch machen würde. Das war wirklich verrückt! Ich freue mich immer über ausgefallene Wünsche, bei denen ich erst mal überlegen muss, wie ich sie überhaupt umsetzen kann. Ich bin wirklich gerne Schneiderin und habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Wer kann das schon von sich sagen…

Nähen sie auch für sich selbst?
Hosen, Jeans, Pullis und mal eine Bluse kaufe ich mir. Das ist so aufwändig zu nähen – das schaffe ich nicht. Ein ausgefallenes Kleid oder auch einen Wintermantel würde ich mir aber immer selbst nähen. Das sind so besondere Sachen, die man über viele Jahre hat. Maßanfertigungen für Kunden mache ich inzwischen allerdings nicht mehr. Ich habe seit einigen Jahren so viel mit den Änderungen zu tun, dass ich das nebenher nicht schaffe.

Foto: Anke Hohmeister

Sie haben ja den ganzen Tag mit Stoffen und Garnen zu tun. Welche Stoffe halten sie am liebsten in den Händen?
Auf jeden Fall Naturfasern. Seide, Wolle, Leinen. Alles, was Synthetik/Kunstfaser ist, mag ich gar nicht. Aber das überwiegt natürlich.

Kleidung ist für viele Menschen zu einem Wegwerfprodukt geworden, das billig zu haben und schnell ersetzt ist. Inwiefern bekommen sie das als Änderungsschneiderin zu spüren?
Das ist ganz unterschiedlich. Manche meiner Kunden legen Wert auf Qualität. Andere kommen aber auch mit ihrer 3-Euro-Hose und wundern sich, dass der Reißverschluss nach dem zweiten Mal tragen gerissen ist. Wenn ich dann sage, dass ein neuer Verschluss 12 Euro kostet, kaufen sie sich lieber gleich eine neue Hose. Was das Material angeht, merke ich bei Jeans qualitativ einen deutlichen Unterschied zu früher. Bis vor ungefähr zehn Jahren waren die Hosen ja alle aus stabilem Denim, also Baumwolle. Seitdem das Strech-Verfahren mit Elasthan eingeführt wurde, sitzen sie zwar schön eng und bequem, sind aber nicht mehr so langlebig. Ich habe in der Woche im Schnitt mindestens zehn Hosen, wo etwas durchgescheuert ist – am Gesäß, an den Oberschenkeln oder an den Knien. Das gab es früher nicht. Da waren eher die Reißverschlüsse das Problem. Ich führe das darauf zurück, dass die Hosen heutzutage mehr auf Hüfte geschnitten sind, was auch die Reißverschlüsse kleiner macht. Optisch finde ich das aber oft unvorteilhaft: Selbst bei sehr schlanken Frauen verändert sich in diesen Hosen die Figur zum Negativen. Über dem Hosenbund ist dann immer so eine kleine Speckrolle, selbst wenn die Hose ausgezogen wird, sieht man die noch, weil sich die Haut danach formt. Die Hosen, die bis zur Taille gehen, sind vorteilhafter – die machen auch einen schöneren Po.