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„Weil Ei braucht man“

Fotos: Karolin Korthase

Text: Magdalena Schrefel

Der Stift muss immer schreibbereit vor ihr auf dem Tisch liegen, die Mine schon rausgedrückt, überhaupt hat in diesem kleinen Laden alles seine eigene Ordnung. Betritt man ihn durch die Glastür mit Jalousien – an der Tür ein handgeschriebenes „Geöffnet“-Schild – kommt man in einen kleinen Raum, der Boden ist mit Teppich ausgelegt, Regale stehen an beiden Wänden. Rechterhand in den Regalen: Eier in Palettenkartons; linkerhand: Büromaterial. Vor alle dem in der Mitte ein Schreibtisch und dahinter sitzt sie: Hannelore, ihres Zeichens Verkäuferin. Ihre dunklen Haare hat sie in einem Pferdeschwanz streng nach hinten frisiert, an den Ohren trägt sie bunte Kreolen, ihre Fingernägel sind perlmuttfarben lackiert. Dass ich zum vereinbarten Interview käme, sage ich. Und Hannelore fragt, ob wir nach hinten gehen wollen, da wäre es etwas ruhiger. Hinten, das ist die an den Verkaufsraum angeschlossene Küche – mit Sofa, Sessel und Radiomusik.

Hannelore: Wenn Kundschaft kommt, muss ich nach vorne.

Schön haben Sie es hier hinten.
Man muss sich auch aufhalten können, nicht. Radio mache ich bisschen leiser.

Wie kommen Sie dazu, Eier zu verkaufen?
Hannelore lacht. Ihre Stimme ist kratzig und schön tief. Dat is‘n Ding. Früher, vor 25 Jahren, war der Laden in der Selchower Straße. Die Verkäuferin war nicht  sehr hilfsbereit, die Eier musste man selber aus dem Karton fischen, da habe ich gesagt: So kann man kein Geschäft führen. Ich hab‘ den Chef von dem Bauernhof angerufen und ihm gesagt: Können wir uns mal treffen? Ich würde das gerne übernehmen. Und von Stund’ an war ich die neue Verkäuferin.

Was haben Sie davor gemacht?
Da hatte ich ‘ne Gaststätte.

Mit Essen und allem?
Nee, nur Getränkeausschank, der Bierbaum 3 war das, den habe ich aufgebaut. Das Gute ist: Hier gehen die Leute wieder, kommen nicht besoffen rein, erzählen dir nicht jeden Tag denselben Witz, na Sie wissen schon, was ich meine, nicht?

Und wie kam es, dass der Laden von der Selchower hier in die Weisestraße umgezogen ist?
Weil die Miete erhöht wurde, der Laden wurde immer teurer, die Miete wurde verdoppelt und nochmal verdoppelt. Da habe ich angefangen zu suchen. Ich kannte den Ladenbesitzer hier und der sagte: Mädchen, du läufst den ganzen Tag rum. Und ich: Ja, ich muss doch sehen, dass ich was finde. Naja, sagte er – das hier war sein Büro – dann werd‘ ich mein Büro räumen, verkauf du mal deine Eier hier.

Wann war das?
Vor zwei Jahren. Ich hatte aber immer ein Schildchen dran, die Fahne raus, die Kundschaft hat mich gefunden.

Geborene Neuköllnerin sei sie, erst in der Hobrechtstraße und nun schon über 40 Jahre hier oben im Schillerkiez. Sie gehe auch niemals weiter als über den Hermannplatz, das sei ihr Revier hier, ihr Bermudadreieck. In dem sei sie glücklich und kenne die Menschen.

Der Kiez hat sich ja sehr verändert.
Ja, aber das stört mich nicht. Was mich stört sind die Mieterhöhungen, dass man die jungen Menschen hier so abzockt. Die Mieten sind ja fast aufs Doppelte erhöht. Keine Ahnung, warum die Politik darauf nicht reagiert.

Verändert das auch Ihre Kundschaft, weil die Leute wegziehen müssen?
Ach was, sogar aus Spandau kommen die Leute noch immer zu mir und holen sich Ihre Eier. Weil Sie so fantastisch schmecken.

Wo genau kommen die Eier denn her?
Aus dem Alten Land. Der Bauer bringt sie mir direkt, deswegen können wir auch so kostengünstig sein. Dazu noch den selbstgemachten Eierlikör – mit Kirschwasser, der ist lecker und Honig, auch aus der Region.

Wie viel kosten denn die Eier bei Ihnen?
XL 10 Stück 1,90€, Freiland 10 Stück 1,80€ und dann gibt es noch die L-Eier, die sind besser fürs Backen und für den Eierkocher. Unschlagbar. Dagegen kommt kein Supermarkt an – und dann noch der Geschmack dazu.

Geöffnet ist der Laden Montag und Dienstag jeweils von 10 bis 13 Uhr, Donnerstag und Freitag von 10 bis 18 Uhr und Samstag auch bis Mittag.

Warum haben Sie Mittwoch zu?
Lohnt nicht mehr, ich hab‘ mir die Zahlen angesehen, Montag und Dienstag bis 13 Uhr, danach kommt niemand mehr.

Und was machen Sie dann am Mittwoch?
Wieder lacht Hannelore dieses einnehmende Lachen. Sonntag ist mein Schönheitstag, Mittwoch muss ich putzen.

Was wird mit dem Laden passieren, wenn Sie nicht mehr können?
Dann macht das mein Kollege weiter, der ist jetzt schon Donnerstag und Freitag Nachmittag hier. Wenn ich mir aber meinen Vater ansehe – der jetzt 91 ist – und ich nach dem komme, dann mache ich das noch länger.

Immer wieder betreten während unseres Gesprächs Kunden den Laden, kaufen Eier. Immer ist Hannelore freundlich. Der Glaser von nebenan kommt vorbei, um Geld zu wechseln. Auch das ist kein Problem.

Haben Sie einen Lieblingsort hier im Schillerkiez?
Wie, Lieblingsort?

Ne Kneipe zum Beispiel.
Ja, hier gleich auf der Ecke (Anm. d. Red.:die Mahlower Klause).

Was macht die so besonders?
Sie liegt aufm Weg. Wenn ich nach Hause gehe, packe ich hier meine Sachen, geh rüber, trink da ein, zwei Körnchen und dann ab nach Hause. Ist ‘ne nette Kneipe, viele junge Leute, ich unterhalte mich gerne mit denen.

Mehr so ein Kumpeltyp sei sie, habe mehr Freunde denn Freundinnen. Außer Uta, mit der sei sie schon ewig befreundet, die habe ihren Schlüssel, kuckt nach, wenn ich mal im Urlaub bin. Eine andere Freundin sei nach Tempelhof gezogen. Wie das die Freundschaft verändert habe, frage ich. Gar nicht, sagt Hannelore und dass sie sich nach wie vor regelmäßig sähen. Als wir unser Interview vereinbart hatten, hatte mir Hannelore erzählt, sie würde danach bald in den Urlaub fahren.

Wo fahren Sie im Urlaub hin?
Immer nach Ägypten. Seit 18 Jahren schon. Immer an denselben Ort.

Und was gefällt Ihnen dort so gut?
Mein Mann! Der wohnt da.

Wow! Wie schafft man das?
Nun ja, die Zeit zwischendurch ist scheußlich, aber wir kriegen es hin. Jeden Tag wird telefoniert, Nachrichten geschickt. Es ist natürlich nicht die Nähe, aber wir kriegen es hin.

Zum Abschluss muss ich Hannelore noch fragen, ob sie selber gerne Eier isst, auch wenn mir die Frage doof vorkommt. Klar, sagt sie. Mein Frühstückseichen am Sonntag, Bratkartoffeln und Spinat mit Ei oder auch Leberkäse mit Ei drauf. Deswegen geh ich auch nicht unter, weil Ei braucht man. Als ich gerade mein Aufnahmegerät ausschalten will, frage ich Hannelore noch nach ihrem Alter. 69, sagt sie und, dass Alter keine Errungenschaft sei. Ist nur eine Erscheinung – wie man lebt, wie man liebt, das macht es aus. Hannelore lacht und dann verkauft sie weiter.

Gold-Ei, Weisestraße 11, 12049 Berlin

Dieser Text ist im März 2018 im Magazin „Mensch, Alter. Geschichten übers Alt Werden im Schillerkiez“ erschienen.