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„Alle Trinkgelder wandern in den Kampf“

Fotos: Anke Hohmeister

Es ist der klassische David gegen Goliath-Kampf, der in Berlin seit einigen Jahren zur Tagesordnung zu gehören scheint. Auf der einen Seite steht ein Mieter, in diesem Falle die linke Kiezkneipe „Syndikat“ aus dem Schillerkiez, und auf der anderen Seite ein Immobilienriese mit Sitz im Ausland, hier die britische Pears Global Real Estate, die mit einem undurchsichtigen Geflecht an Briefkasten-Firmen operiert und von drei schwerreichen Brüdern geführt wird.

Zum 31.12.2018 ist der Mietvertrag des Kneipenkollektivs „Syndikat“ mit einer der Pears’schen Briefkastenfirmen offiziell ausgelaufen. Aber sang- und klanglos lässt sich die Kult-Kneipe, die seit 33 Jahren in der Weisestraße 56 beheimatet ist, nicht einfach vertreiben. Die Betreiber überweisen nachwievor monatlich einen Betrag, der sich an der vorherigen Miete orientiert, das so genannte Nutzungsentgelt. Und auch der Barbetrieb läuft in gewohnten Bahnen weiter. Dass die Gegenseite vor kurzem eine Räumungsklage eingereicht hat, hängt natürlich trotzdem wie ein Damoklesschwert über dem Tresen des „Syndi“. Anstatt sich einschüchtern zu lassen, suchen die Kollektivmitglieder unermüdlich die Konfrontation und mobilisieren den Kiez für ihre Sache. Christian, 41 Jahre alt und seit zwölf Jahren beim Kollektiv mit dabei, erzählt im Interview von absurden Recherchereisen nach London und Luxemburg, vergeblichen Verhandlungsversuchen und der Stimmung im „Syndikat“-Team.

Foto: Anke Hohmeister

2015 hat eine Briefkastenfirma der Pears-Gruppe euer Haus aufgekauft. Hattet ihr damals schon Angst vor Verdrängung?
Wir haben natürlich mitbekommen, was im Kiez los ist, aber wir haben uns hier immer sicher gefühlt. Vor allem, weil unsere Räumlichkeiten so sind wie sie sind: riesig und nach hinten raus total dunkel. Man kann hier drin eigentlich nichts anderes machen außer einem Kneipenbetrieb. Davor waren wir bei einem holländischen Investor, der uns, wie wir inzwischen wissen, als ganzes Paket mit insgesamt 35 Häusern an Briefkastenfirmen der Pears-Gruppe verkauft hat. Das ist ein richtig ausgeklügeltes System, denn zu jedem Briefkasten gehören immer ungefähr 5,6, oder 7 Häuser, sie sich über die ganze Stadt verteilen. Das verhindert natürlich, dass sich die Leute untereinander austauschen können und fällt weniger auf. Berlinweit gehören Pears, nach Angaben der Webseite, die inzwischen offline ist, über 6200 Gewerbe- und Wohneinheiten. Die spielen also ganz oben in der Liga der privaten Immobilienriesen mit.

Wie habt ihr überhaupt rausgefunden, dass ihr zu einer dieser Briefkasenfirmen gehört?
Wir sind nach Luxemburg gefahren und haben dort unter der Eigentümer-Adresse, die auf unseren Papieren angegeben war, nur einen Briefkasten vorgefunden. Kein Büro, nichts. Das ist sogar legal und scheint in unserer kapitalistischen Ordnung kein Problem zu sein.

Ihr habt die Kündigung im Sommer letzten Jahres bekommen. Hattet ihr zwischenzeitlich noch die Hoffnung, dass euer Vertrag verlängert werden könnte?
Auf jeden Fall. Als letztes Jahr unser Mietvertrag auslief und die Kündigung im Raum stand, hieß es zunächst, dass wir gerne über einen neuen Mietvertrag verhandeln können. Das wollten wir natürlich auf jeden Fall, wir hätten auch eine moderate Erhöhung in Kauf genommen. Dann ging das drei Monate hin und her, in denen immer wieder bekräftigt wurde, dass sie mit uns verhandeln wollen, bis dann am 11. September die Ansage kam, dass wir gehen sollen. Das war der Zeitpunkt, an dem wir an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Welche Strategie empfiehlt euch euer Anwalt?
Einfach abzuwarten. Die Räumungsklage ist eingereicht. Würden wir keine Miete oder kein Nutzungsentgelt mehr bezahlen, würde sich der Prozess beschleunigen. Wann der Fall vor Gericht kommen wird, kann uns niemand sagen.

Ihr seid nicht nur in Luxemburg gewesen, sondern im Dezember auch in London.
Da ist der Hauptsitz der Pears Gruppe, der sich, wie wir später rausgefunden haben, in einer Privatstraße befindet. Wir hatten sie vorher über Twitter angeschrieben und gesagt, dass wir kommen, aber anscheinend hat uns niemand ernst genommen. Wir sind an einem Dienstag Morgen dann unangemeldet in den Bürokomplex reinmarschiert, in dem auch die Stiftung der Pears-Familie sitzt, und natürlich prompt wieder rausgeflogen. Wir hatten Briefe für die Mitarbeiter dabei, in denen stand, warum wir da sind und auch Flyer. Irgendwann kam dann jemand, der anscheinend etwas zu sagen hatte, sich aber nicht bei uns vorstellte. Als wir ihm erklärten, warum wir da sind, meinte er nur, wir seien am falschen Ort, da die Eigentümer in Luxemburg sitzen würden. Auf unseren Einwand hin, dass es dort nur einen Briefkasten gäbe, meinte er dann, dass das eben Business sei. Außerdem wäre Berlin doch so billig und voller Freiflächen, da sollten wir uns einfach was Neues suchen.

Foto: Anke Hohmeister

Wie hat sich der drohende Rausschmiss aus ihren Räumen auf die Stimmung im Kollektiv ausgewirkt?
Erstaunlicherweise eher positiv. Alle unsere Trinkgelder wandern gerade in den Kampf, vorher haben wir sie immer an Wohltätigkeitsorganisationen gespendet. Bis jetzt ist trotz der deprimierenden Situation noch keine Frustration da. Die wird sicherlich kommen, spätestens wenn negative Gerichtsurteile da sind.

Rechnet ihr denn damit?
Ja, vermutlich werden wir vor Gericht verlieren. Es ist nur die Frage wie. Es kann sein, dass die Richter sagen, dass uns nach den ganzen Mietjahren eine Abfindung zusteht oder dass wir noch 2, 3 oder 4 Jahre länger bleiben können. Es kann aber auch sein, dass sie uns nach fünf Minuten mitteilen, dass wir sofort raus müssen.

Bekommt ihr Hilfe vom Bezirk?
Die BVV hat sich für unseren Erhalt ausgesprochen. Und auch der Bezirksstadtrat Jochen Biedermann steht voll hinter uns und war schon auf mehreren Kiezversammlungen. Aber der Bezirk kann bei Gewerbemieten leider überhaupt nichts ausrichten. Es müsste meiner Ansicht nach auch einen Milieuschutz für Kleingewerbe geben. Als Gewerbetreibender bist du völlig machtlos. Die können dir im laufenden Vertrag kündigen oder einfach sagen die Miete wird vervierfacht.  Es gibt keinerlei Schutz.

Wie ist die Solidarität im Kiez?
Es ist ein unheimlich großes Interesse da. Es kommen Leute zu uns, die sagen: „Ich mag euren Laden nicht, aber ihr müsst bleiben.“ Es gab bisher überhaupt keine negative Resonanz, auch nicht aus unserem Haus. Als wir die Unterschriften gesammelt haben, kamen in knapp drei Wochen über 4000 Unterschriften zusammen, die hauptsächlich aus dem Kiez stammen.

Was bedeutet dir persönlich das Syndi?
Es ist mein Lebensraum. Es ist ja nicht nur das Arbeiten. Ich treffe mich hier mit Freunden, mit Bekannten. Es ist schon eine Mischung aus Wohnzimmer, Arbeitsplatz, es ist eine Herzensangelegenheit. Anders kann man es auch nicht machen, reich wird man hier nicht.

Syndikat, Weisestraße 56, 12049 Berlin, syndikatbleibt.noblogs.org

Nachtrag d. Red.: Im November 2019 hat das Berliner Landgericht die Kündigung der Eigentümerin „Firman Properties“ (Teil der Pears-Gruppe) für rechtmäßig erklärt und einen Räumungstitel erteilt. Das „Syndikat“ wird in Berufung gegen das Urteil zu gehen.
Dieses Interview ist ursprünglich im Dezember 2018 in unserem Magazin „Kiezköpfe“ erschienen.