Die Kiezredaktion spricht mit dem Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr über seine Vision für unseren Kiez und wie sich Anwohner*innen engagieren können.
ein Interview von Nele Belau und Simon Walker
Jochen Biedermann ist Stadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr in Neukölln und ist somit zuständig für viele drängenden Fragen, die Neuköllner*innen umtreiben. Er beschäftigt sich unter anderem mit Mobilität, der Mobilitätswende und sichere Wegen, Grünflächen und dem Klimawandel. Sein Ziel ist, die Stadt so umzubauen, dass wir hier auch in 20 oder 30 Jahren noch (gut) Leben können.
Warum wird auf der Donaustraße aktuell der motorisierte Durchgangsverkehr bevorzugt, obwohl es eine Wohnstraße ist und sogar Teil des Radvorrangnetzes?
Momentan wird der Autoverkehr bevorzugt, weil es eben immer so gewesen ist. Wir arbeiten daran, das zu ändern. Nicht nur in der Donaustraße, sondern im gesamten Bezirk. Aber Neukölln besitzt 320 km Straße, das ist einmal von hier bis zur Ostsee. Es dauert ein bisschen, das umzubauen. Es gibt konkrete Pläne, die Donaustraße zu einer Fahrradstraße zu machen und in Rixdorf eine Quersperre einzurichten. Das soll die viel zu hohe Belastung mit Kfz deutlich reduzieren.
Was ist Ihre generelle Vision für Neukölln, und was sind Ihre konkreten Pläne für den Donaukiez?
Wir brauchen eine Mobilitätswende, und wir müssen ganz anders mit dem öffentlichen Raum umgehen. Wir brauchen mehr Platz für Menschen und sichere Wege. Vor allem brauchen wir aber grüne Räume. Denn unsere Städte werden immer heißer, und wir müssen jetzt gegensteuern. Wenn wir wollen, dass es in 30 Jahren Schatten gibt, dann müssen wir die Bäume dafür heute pflanzen. Und wir brauchen Versickerungsflächen, weil wir mit dem vermehrten Starkregen anders umgehen müssen.
Wir arbeiten im Moment an verschiedenen Stellen: Nächste Woche fangen die Arbeiten für den Kiezblock Reuterkiez an, Rixdorf kommt als nächstes, Außerdem erarbeiten wir Verkehrskonzepte für den Schiller- und den Körnerkiez, um den Durchgangsverkehr rauszukriegen. Was den Donaukiez betrifft, haben wir im November die Vorstudie für den Umbau der Weichselstraße vorgestellt. Vorgesehen ist entweder eine Fußgängerzone oder eine Fahrradstraße, auf jeden Fall mit Entsiegelung und mit deutlich mehr Platz für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer*innen. Der Umbau der Donaustraße ist in Planung, auch wenn wir nicht sagen können, wann das realisiert werden kann. l Fahrradpolitik ist im letzten Jahr nicht einfacher geworden.
Wie können Anwohner*innen im Donaukiez aktiv an der Umgestaltung des Kiez mitwirken, um ihn lebenswerter, fairer und verkehrsberuhigter zu machen?
Anwohnende können sich in die öffentlichen Debatten einmischen, beispielsweise über Beteiligungsprozesse. Es ist ganz entscheidend, dass solche Planungen, bei denen natürlich auch Stellplätze wegfallen, eine Akzeptanz vor Ort haben. Das ist das Wichtigste, damit die Planung auch Realität werden kann. Es ist wichtig, dass sich nicht immer nur die Leute lautstark zu Wort melden, denen der Umbau nicht gefällt, sondern auch die, die sagen: “Ja, das geht in die richtige Richtung oder sogar, es geht noch nicht weit genug.”
Denken Sie, dass Kiezblocks aktuell die effektivste Methode für Anwohner*innen sind, aktiv zu werden und mitzugestalten?
Ich glaube, es gibt nicht die eine Antwort. Die Verkehrswende und einen anderen Umgang mit dem öffentlichen Raum kann man an ganz verschiedenen Stellen gestalten. Aber das Ziel muss natürlich sein, den Durchgangsverkehr aus den Kiezen rauszubekommen und dabei eine neue Aufenthaltsqualität zu gewinnen. So, dass sich hinterher niemand mehr vorstellen kann, dass man es mal anders haben wollte. Der Umbau des Böhmischen Platzes ist ein gutes Beispiel dafür: Da gab es zuvor sehr viel Auseinandersetzung, und das Ganze schien lange unvorstellbar. Nachdem die Entscheidung zur Verkehrsberuhigung getroffen und umgesetzt war, gab es nur noch ganz wenige Leute, die das wieder rückgängig machen wollten. Da ist einfach ein neuer Ort entstanden.
Mit der CDU-geführten Landesregierung und Frau Schreiner als Verkehrssenatorin wird das Vorhaben, Berlin fahrradfreundlicher zu machen und den öffentlichen Nahverkehr auszubauen, aktuell ausgebremst oder sogar verhindert. Ihre Vision scheint eher eine Stadt zu sein, die vom Auto abhängig ist. Was ist in dieser Situation möglich für alle diejenigen, die an fairere Straßen für unsere Nachbarschaften glauben? Was sind Ihre Zuständigkeiten, und inwieweit arbeiten Sie mit der Senatorin zusammen?
2023 war in der Tat ein weitgehend verlorenes Jahr für die Verkehrswende, das muss man so sagen. Nach den Neuwahlen gab es eine Verkehrssenatorin, die einen U-Turn in der Verkehrspolitik vorgenommen und für viel Unsicherheit gesorgt hat. Die Konsequenzen werden wir in den nächsten Jahren noch spüren. Fertig geplante Projekte werden nicht oder nur mit erheblicher Zeitverzögerung umgesetzt.
Trotzdem versuchen wir natürlich im Bezirk zu tun, was wir können, gerade Dinge, die mit geringen Finanzmitteln große Effekte haben. Kiezblocks sind da ein Beispiel. Da ist zwar die konzeptionelle Planung und die Begründung sehr aufwändig. Die Maßnahmen, auf die es dann meistens hinausläuft, sind aber relativ günstig, zum Beispiel Einbahnstraßen und modale Filter. An vielen anderen Stellen sind wir aber finanziell vom Land abhängig. Das haben wir gesehen, als die Finanzierung der Fahrradprojekte durch den Senat gestoppt wurde. Und im Straßenbau sind wir schnell bei Summen, die der Bezirk nicht aufbringen kann, gerade wenn wir von einem grundlegenden Umbau reden.
Ist der Bezirk für die Kiezstraße verantwortlich und der Senat für die Hauptverkehrsstraße? Heißt das, Sie dürfen Entscheidungen treffen, sind aber finanziell vom Senat abhängig?
Ja, genau.
Sind Sie im Dialog mit der Senatorin?
Natürlich gibt es Austausch und Diskussionen. Es gibt auch regelmäßige Runden mit den Verkehrstadträt*innen, die Bezirksstadträt*innen-Runde, und es gibt anlassbezogen immer wieder Kommunikation auf allen Ebenen. Aber dass wir an vielen Stellen grundlegend andere Auffassungen darüber haben, wo die Reise hingehen soll und mit welchem Verkehrsmittel, ist ja kein Geheimnis.
Wann kommt die Tram?
Wir sind in die Planungen zwar mit eingebunden, die Tram liegt jedoch in der Zuständigkeit des Landes. Bei zwei Linien ist Neukölln betroffen: Bei der Verlängerung der M10 über Pannierstraße und Sonnenallee, sowie bei der Straßenbahnverlängerung über Jahonnisthal hinaus, also zwischen Joahnnisthal und Gropiusstadt. Für die Pannierstraße und Sonnenallee gibt es relativ weit fortgeschrittene Planungen mit unterschiedlichen Varianten der Verkehrsführung.
Ich weiß aber nicht, ob die M10 überhaupt gebaut wird, wie es im Koalitionsvertrag steht, oder ob einfach so lange weiter geplant wird, bis es eine politische Entscheidung gibt. Ich hoffe, dass die Planungen umgesetzt werden. Da steckt schon ein jahrelanger Aufwand drin. Auch bei anderen Projekten, bin ich nicht sicher, ob sie umgesetzt werden.
Wie sieht es mit der Brücke am Ende der Elbestraße aus?
Es soll tatsächlich eine Brücke geben, allerdings ist das auch nicht in der Bezirkszuständigkeit. Sie ist Teil des Radvorrangnetzes und soll die Bouchéstraße mit der Elbestraße verbinden. Ich bin aber eher skeptisch. An die Brücke glaube ich erst, wenn es mit den Baumaßnahmen losgeht.
Luftverschmutzung ist in den letzten Jahren mehr erforscht und verstärkt zu einem politischen Thema der öffentlichen Gesundheit geworden. Es gibt an vielen Stellen in Berlin Stationen, die Luftschadstoffe wie Stickstoffdioxid und Feinstaub messen, auch hier an der Karl-Marx- und der Erkstraße. Sie zeigen, dass die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Grenzwerte oft deutlich überschritten werden. Wo sehen Sie da Ihre Verantwortlichkeit?
Auch, wenn das nicht in meine direkte Zuständigkeit fällt: Wir atmen alle diese Luft. Insofern haben wir natürlich die Aufgabe, etwas zu tun. Ich glaube, dass das nur geht, indem wir die Stadt umbauen und attraktive Möglichkeiten vorantreiben, sich ohne eigenes Auto fortzubewegen. Und dafür müssen wir es einfacher machen, aufs Auto zu verzichten. Aus meiner Sicht gehören verlässliche Rahmenbedingungen dringend dazu. Nach nicht mal einem Jahr wird jetzt diskutiert, ob das 49-Euro-Ticket vielleicht 69 oder 89 Euro kosten soll.
Das ist keine Grundlage, auf der Menschen entscheiden können, ihr Auto vielleicht doch abzuschaffen und ihr Leben anders zu organisieren. Es braucht eine klare, langfristige Linie, um ein verändertes Verhalten zu erzeugen. Das werden der technische Fortschritt und ein bisschen E-Mobilität alleine nicht leisten können.
Als in der Pandemie die öffentliche Gesundheit gefährdet war, gab es auf einmal sehr schnell sehr konkrete Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit. Auch jetzt ist die Gesundheit immens gefährdet. Das betrifft gerade Kinder, die schneller atmen, sich dichter am Boden und näher an Autoabgasen befinden und verletzlicher sind als Erwachsene. Können Sie sich vorstellen, auch bei dieser Art der Gefährdung Lösungen zu finden, die schneller gehen?
Wir müssen schneller werden. Ich sehe im Moment leider eher das Gegenteil, dass wir langsamer werden. Viele Förderprogramme stehen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf dem Prüfstand. Für Projekte wie die Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel, wie z.B. den Umbau der Hasenheide, wird es signifikant weniger Geld geben. Für die dringenden Transformationen drohen die Mittel zu fehlen – im Berliner Landeshaushalt, aber auch im Bundeshaushalt. Und aus meiner Sicht ist der Umbau aber nicht verhandelbar. Wir sehen ja die Folgekosten und die Folgeprobleme jedes Jahr. Egal, ob wir uns Kindergesundheit angucken, oder was nach einem Starkregen im Schifffahrtskanal passiert. Wenn unsere Mischwasserkanalisation überläuft, ergießt sich die ganze Kloake in den Schifffahrtskanal, und die Fische sterben. Das Problem ist, dass es nur dann Geld gibt, wenn ein akuter Schaden aufgetreten ist. Wenn es einen Orkan, eine Überschwemmung oder eine Pandemie gibt, dann ist auf einmal Geld ohne Ende da. Aber es sollte darum gehen, eine gesellschaftliche Akzeptanz dafür zu schaffen, dass wir jetzt Geld investieren müssen, um dafür zu sorgen, dass man in 30 Jahren in dieser Stadt überhaupt noch leben kann. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass das gesellschaftliche und politische Klima dafür gerade empfänglicher wird.
Was können wir tun?
Lauter sein. Diese Themen immer wieder in die Debatte tragen. Sich einmischen. Und nicht denjenigen, die Parkplätze verteidigen, die Diskurs-Hoheit überlassen. Sondern deutlich sagen, dass wir den Umbau dieser Stadt brauchen, weil wir hier gerne noch weiter leben wollen. Und weil wir wollen, dass auch unsere Kinder hier noch leben können.
Warum ist das Anwohnerparken in Berlin so günstig? Wir könnten ja auch Gebühren erheben – oder demokratisch unter allen Anwohner*innen entscheiden, wie die Flächen genutzt werden.
Neukölln hat sich vor zwei Jahren als letzter Innenstadtbezirk endlich auf den Weg gemacht, Parkraumbewirtschaftung einzuführen. Es ist schon lange überfällig, dass es Bewohner-Parkausweise gibt und dass Gebietsfremde Parkgebühren bezahlen müssen. Die ersten zwei Parkraumbewirtschaftungszonen in Neukölln sollen zum ersten Februar starten. Eigentlich war der Plan, dass dann zwei Zonen pro Jahr dazu kommen, bis ganz Neukölln innerhalb des S-Bahn-Rings Parkraumbewirtschaftung hat. Die Mittel, die bisher dafür zur Verfügung standen, z. B. für Automaten und Verkehrszeichen, gibt es jedoch in Zukunft nicht mehr. Wir müssen jetzt gucken, wie wir das als Bezirk noch umsetzen können. Generell finde ich 20,40 EUR, die ein Einwohnerparkausweis für 2 Jahre kostet, lächerlich wenig.
Wenn ich das mit meiner Miete pro Quadratmeter vergleiche, ist das wirklich unfair wenig.
Ja genau, das ist eine Verwaltungsgebühr. Ich habe mir auch schon überlegt, diesen Parkplatz zu der Gebühr zu mieten und dann dort einen kleinen Garten anzulegen. (Alle lachen.) Aber das geht natürlich nicht. Der Plan der letzten Landesregierung war, die Gebühr deutlich anzuheben auf 120 Euro pro Jahr. Das soll nun nicht weiter verfolgt werden. Es gibt noch keine Zahlen dazu, welche Erhöhung aktuell geplant ist. Auf Bezirksebene haben wir da keine Handhabe. Außerdem haben wir eine StVO (Straßenverkehrsordnung), die den Geist des autogerechten Lebens atmet. Damit schlagen wir uns bei jeder einzelnen Maßnahme herum. Es braucht für jeden Umbau eine besondere Begründung, also eine konkrete Gefährdungslage. Das heißt, es muss immer erst jemand zu Schaden kommen, bevor wir etwas tun dürfen. Die allerhöchste Priorität der StVO ist, die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Da ist ganz dringender Handlungsbedarf. Aus meiner Sicht müssen Städte in die Lage versetzt werden, selber zu entscheiden, wie sie mit diesen riesigen Flächen, die aktuell für Autoparkplätze genutzt werden, umgehen wollen. Da ist noch viel zu tun.
Dieser Beitrag ist in der 8. Ausgabe der Donauwelle am 14. Dezember 2023 erschienen. Die Donauwelle wurde im Rahmen des Projektes „Donaukiez macht Medien“ erstellt. Gefördert durch die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin im Rahmen der Zukunftsinitiative Stadtteil, Teilprogramm Sozialer Zusammenhalt.