Donauwelle 11, Kiezredaktion der Donauwelle
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Mit dem Wohlstand kam der Neid…

Von der Nachkriegszeit bis zur Pandemie: Hans Babkuhl (87) erinnert sich, wie der Zusammenhalt im Kiez immer dann stark war, wenn es darauf ankam.

– Hans Babkuhl

Arbeitersportverein in den 30er Jahren @Gedenkstätte Deutscher Widerstand

In schwierigen Zeiten halten die Menschen oft besser zusammen. Wenn es ihnen aber gut geht, scheint dieser Zusammenhalt schnell wieder zu bröckeln.

Wenn ich an die Zeit während des Nationalsozialismus denke, fällt mir vor allem mein Vater ein. Er war überzeugter Sozialdemokrat und aktiver Gewerkschafter, außerdem Vorsitzender eines Sportvereins. Heute würde man sagen: Er war gut vernetzt. Die Arbeitersportbewegung wurde von den Nazis verboten, aber die alten Kumpel hielten trotzdem zusammen. Ich weiß, dass mein Vater mit anderen Menschen geholfen hat, die dem Regime nicht genehm waren – sie wurden über verschiedene Kanäle außer Landes gebracht.

Ich erinnere mich an einen Nachbarn im Haus, der nicht in die „Ahnengalerie“ passte, wie man damals sagte – plötzlich war er weg. Kurz darauf stand in unserer Wohnung ein großes Radio, das ich als Kind immer bewundert hatte. Damit konnte man alle Sender empfangen, sogar Radio London, dessen Hören unter Todesstrafe stand. Mein Vater hörte das manchmal heimlich in seiner Kammer. Dann mussten wir Kinder im Wohnzimmer den Volksempfänger – die sogenannte „Goebbels-Schnauze“ – laut aufdrehen und zusätzlich Krach machen, um das Sendezeichen von Radio London zu übertönen.

Illustration: Irit Mogilevsky

Nach dem Zusammenbruch des sogenannten „Tausendjährigen Reiches“ im Jahr 1945 war der Zusammenhalt riesig. Die Leute haben sich gegenseitig geholfen, als wäre man eine große Familie. Das ganze Haus, in dem wir lebten, war kaputt. Nur die vierte Etage war noch einigermaßen in Ordnung. Alle anderen Wohnungen standen leer, Türen und Fenster waren herausgerissen. Das ganze Haus hat sich in unserer Wohnung zusammengedrängt (als die Russen hochkamen?). 

Aber dann kam das Wirtschaftswunder – und mit dem Wohlstand kam der Neid. Plötzlich zählte nicht mehr, wer half, sondern wer etwas hatte. Das größere Auto, die schönere Kleidung. Mein Vater war damals arbeitslos, wir konnten uns nicht viel leisten. Und doch: Es waren gerade die Leute aus der sogenannten Unterschicht, die früher eng zusammengehalten haben. Aber auf einmal waren sie sich spinnefeind. Da war kein Miteinander mehr – nur noch Konkurrenz.

Nun sind meine Frau und ich seit einiger Zeit Rentner. Wir haben bei uns im Haus eine richtig gute Gemeinschaft. Das fing in der Coronazeit an und hält bis heute. Wenn wir etwas brauchen, fragen die Nachbarn sofort: „Kann ich helfen?“ Schwere Einkäufe werden bei REWE für uns mitbestellt, Pakete bringen sie bis vor die Wohnungstür. Aber wir tragen auch selbst etwas dazu bei: Wir grüßen alle im Haus, halten hier und da einen kleinen Plausch auf der Treppe – und auf der Straße sagen wir manchmal einfach „Guten Tag“ oder, wenn wir gut drauf sind, auch mal „Grüß Gott“. Und dann strahlen die Leute uns an.

Also, lasst euch von uns Alten sagen: Wenn ihr freundlich zu den Menschen seid, sind sie es auch zu euch. Das schreibt euch das Kiezgedächtnis – und nun macht was draus!


Die Produktion der Ausgabe Donauwelle 11/2025 wurde durch die Publix gGmbh gefördert. 

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